Warum sind Frauen im Digital Business noch immer untervertreten? Was müssen wir verändern? Und wie verändert die Digitalisierung unser Leben? Ich habe mit Alexandra Scherrer von Carpathia gesprochen. Fazit? Seid neugierig und mutig.
Von Olivia Grubenmann
„Im Studium haben wir mal über die unterschiedlichen Redeweisen von Männern und Frauen geredet. Unter anderem über eine Studie, die gezeigt hat, dass Frauen viel öfter Abschwächungspartikel benutzen, wie: vielleicht, ich glaube, aber vielleicht auch nicht. Auch wenn man das nur unbewusst wahrnimmt, hat das doch eine bedeutende Wirkung“, leitet Alexandra ins Thema ein.
Woran liegt es, dass Frauen ihre Aussagen und ihren Auftritt oftmals abschwächen? Welche Folgen hat das? Und wie können wir das ändern?
Frauen, traut euch!
Alexandra arbeitet bei Carpathia, einer Beratungsagentur für Digital Business und digitale Transformation. Als der Chef der Firma merkte, dass es viele gute Frauen im E-Commerce gibt, diese aber nie genug repräsentiert wurden, startete er innerhalb der Firma die Initiative Evecommerce. Diese soll Frauen aus dem Digital Business vernetzen und sichtbarer machen, sodass sie als Vorbilder andere Frauen für das Digital Business inspirieren können. Zu den Boardmitgliedern von Evecommerce gehören zum Beispiel Alexandra Wackernagel von Elektromaterial oder Ellen Brasse von coop@home.
Jedes Jahr veranstaltet Carpathia die Connect-Digital Conference und Awardverleihung. Dort diskutieren verschiedene Personen aus dem Digital Business darüber, wie sich die digitale Welt und der Digital Commerce verändern. Für diese Veranstaltung gibt sich Carpathia ebenfalls Mühe, möglichst auch weibliche Speaker auf der Bühne zu haben. Dieses Jahr gibt es sogar ein Panel nur mit Frauen.
Oft sieht man jedoch heute noch Veranstaltungen, die nur Männer auf der Bühne haben, und da ist es einfach keine Ausrede zu sagen, dass man keine Frauen gefunden hat. Manchmal ist es vielleicht schwerer, eine Frau auf die Bühne zu bringen, aber es gibt genug Frauen, die man anfragen kann. Wenn Frauen dann sehen, dass andere Frauen auf die Bühne stehen, inspiriert sie das vielleicht auch, das Gleiche zu tun. Früher war der Konkurrenzkampf zwischen Frauen oft sehr gross, aber dies hat sich geändert.
„Heute helfen sich auch Frauen gegenseitig, erfolgreich zu sein.“
Altes loslassen
Eine Hauptentwicklung im E-Commerce ist, dass die Grenzen zwischen unterschiedlichen Tätigkeiten sich immer mehr auflösen. Selbst wenn wir nur auf Instagram Inspiration suchen, werden wir mit Produkten umgarnt und können mit wenigen Klicks die dargestellten Sachen kaufen. Auch die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit verschwinden zunehmend. Oft beantworten wir auch nach Feierabend noch Arbeits-Emails, und stöbern dafür während der Arbeitszeit auf Zalando.
Bei den Beratungen bemerkt Alexandra, dass viele Unternehmen noch gar nicht fit sind für die digitale Welt. Es ist ein grosser Schritt, alles auf online zu verlagern. Firmen müssen agiler werden, müssen möglichst viel ausprobieren und müssen bereit sein, alte Strukturen loszulassen. Bei den Beratungen fällt ihr auch oft auf, dass Frauen in den Teams untervertreten sind. Vor allem auf mittlerer bis höherer Managementebene.
Was müssen wir tun?
„Man könnte mehr Frauen motivieren, bei Events dabei zu sein und als Speakerinnen aufzutreten. Aber ich denke, es braucht auch ein wenig Geduld. Wir können nicht von einem Tag auf den anderen die 50:50 Quote hinkriegen. Das braucht einfach seine Zeit.“
Alexandra und ich sind uns aber einig: Wir sollten die Diversitätsbewegung unbedingt auf eine inspirierende Art angehen und nicht versuchen etwas von oben herab auf die Gesellschaft aufdrücken. Viele Frauen schätzen ihre Fähigkeiten (vor allem im technischen Bereich) oft schlechter ein als Männer. Dies könnte damit zusammenhängen, dass sich Mädchen bereits in der Erziehung nicht so sehr mit technischen Themen auseinandersetzen. Ausserdem fehlen ihnen aus bestimmten Branchen wie der Tech-Branche oft weibliche Vorbilder.
«Die Tech Branche wird oft mit diesem technischen, nerdigen und Zahlen-lastigen verbunden. Doch neben dem ist die Tech Branche auch unglaublich kreativ», findet Alexandra.
„Mit den heutigen Möglichkeiten kann man sich alles selbst beizubringen und das im eigenen Tempo. Vielleicht haben Frauen aber die Tendenz, alles auf Anhieb perfekt machen zu wollen. Es gibt sicher auch Frauen, die leicht neue Dinge anpacken, aber viele Frauen die ich kenne, verhindern es sich selbst, sich auf Neues einzulassen, weil sie zu hohe Selbstansprüche haben“, so Alexandra.
Hier haben wir noch 5 Fragen an Alexandra
Was fasziniert dich so am Digital Business?
Ich liebe es, Sachen auszuprobieren. Ich gründete zum Beispiel mit Freunden die Kunstplattform artiazza.com, einfach weil ich es cool fand etwas Neues zu gestalten und zu sehen wie es rauskommt. Vor diesem Job habe ich unter anderem als Übersetzerin gearbeitet. Was mich da aber gestört hat, ist, dass es keinen Platz gibt für die eigene Handschrift. Auch deswegen habe ich in das digitale Business gewechselt.
Was braucht man in deinem Job?
Bei meinem Job muss man interessiert und ajour sein. Laufend kommt eine neue Social Media Plattform oder ein neues Tool auf den Markt. Da darf man nicht die Einstellung haben: So jetzt habe ich endlich alles gelernt. Man darf auch nicht den Anspruch haben, immer über alles top informiert zu sein und auf alles sofort eine Antwort zu haben. Aber seien wir ehrlich: In welchem Job darf man das heute eigentlich noch?
„Man muss nur bereit sein, immerzu Neues zu lernen und auszuprobieren.“
Wie wird sich der E-Commerce verändern?
Unser Onlineverhalten wird vermehrt intuitiver. Auch Conversational Commerce wird Alltag werden. Man ist zum Beispiel mit Freunden am Chatten und ein Chat Bot schreibt dich an: «Hey, schau mal, die Hose dir du dir angeschaut hast ist gerade im Sale», und du kannst sie dann mit wenigen Klicks kaufen. Ein Beispiel sind auch die Home Assistants wie Alexa von Google. Ich bin z.B. im Büro und es regnet, also gebe ich ihr den Auftrag: Bestell mir doch auf 12 Uhr eine Pizza. Die Technik wird uns noch viel mehr helfen, uns den Alltag zu erleichtern.
Ist die komplette Digitalisierung nicht unheimlich?
Irgendwann haben wir wahrscheinlich alle einen Chip in uns. Das mag unheimlich klingen, aber eigentlich ist das Handy ja eh schon die ganze Zeit in unserer Hand, da ist ein Chip vielleicht gar nicht mehr so ein grosser Schritt.
Ich finde es manchmal unheimlich mit den Home Assistants. Ich rede beispielsweise mit Freunden und der Assistant reagiert, obwohl ich nicht ihn angesprochen habe. Aber ich denke, diese Problematik des Zuhörens haben wir auch beim Handy. Auch beim Handy kannst du abgehört werden. Auch dort haben wir einen Sprachassistenten. Wenn ich dort: «Hey Google» sage, wird das ja auch gehört.
Was wollen Frauen beim Onlineshopping wirklich?
Ich habe auf unserem Blog über die Future of Femininity Studie geschrieben. Die ist von zwei Frauen, die recherchiert haben, wie Frauen einkaufen. Die Outcomes waren unter anderem, dass Frauen im echten Leben und auch beim Onlineshopping verführt werden wollen. Mit der wenigen Zeit die sie zum Einkaufen haben, wollen sie nicht ‘primarkmässig’ wühlen müssen und mit Ramsch überschüttet werden, sondern sie wollen die perfekten, auf sie zugestimmten Dinge präsentiert bekommen. Das Einkaufen muss immer mehr einen gewissen Erlebnisaspekt bieten. Wenn wir zum Beispiel einen BH kaufen, wollen wir wissen, wo der Stoff herkommt, wie wir ihn kombinieren können, oder wir wollen Vorschläge für ergänzende Produkte, wie beispielsweise das passende Waschmittel.
Vielen Dank für das spannende Interview Alexandra!