Debüts haben immer etwas Verheissungsvolles. Der erste Auftritt einer neuen Stimme. Geht sie unter oder steigt sie auf? Drei Buchdebüts, die es dieses Jahr definitiv geschafft haben, die Aufmerksamkeit auf sich zu lenken und die auch wir genial finden.
Von Angelika Imhof
Ich finde hässliche Tage herrlich. Liebe es, wenn es draussen kalt, nass und grau ist. Denn das sind die perfekten Bedingungen dafür, es sich drinnen gemütlich zu machen und ein gutes Buch zu lesen.
Seit ich im Lektorat eines Literaturverlags arbeite, lese ich nicht nur aus beruflichen Gründen wahnsinnig viel, sondern auch privat mehr denn je. Drei persönliche Lese-Highlights aus diesem Jahr möchte ich euch gerne als Inspiration weiterreichen. Es sind Bücher, die sich schnell lesen, aber lange nachwirken.
„Gespräche mit Freunden“ von Sally Rooney
Über diesen Roman ist in der Literaturszene bereits soviel gesprochen worden, dass es sich recht redundant anfühlt, es noch einmal zu tun. Und doch ist Rooneys Text zu gut, um ihn hier nicht zu erwähnen. Viel zu gut. Dieses Buch ist genau das, was jedes zweite Manuskript, dass dieser Tage auf meinem Tisch landet, versucht zu sein: Ein Text darüber, was es bedeutet, im 21. Jahrhundert Frau zu sein mit all den Struggles, Sehnsüchten, Beziehungsgeflechten, inneren und äusseren Konflikten, Widersprüchen und Fragezeichen, die das mit sich bringt. Es geht um die Diskrepanz zwischen dem, was wir (nicht) fühlen wollen und dem was wir eigentlich fühlen. Es geht um Verlust; Machtverlust, Kontrollverlust, Intelligenzverlust, Selbstverlust. Es geht um den Versuch etwas zu sein.
Sprachlich gesehen ist «Gespräche mit Freunden» sehr zugänglich und würde ich darum unbedingt im englischen Original «Conversation with Friends» lesen. Doch obwohl die Erzählweise schlicht und schnörkellos ist, ist sie niemals flach und banal. Vielmehr kommen der fesselnde Sound der Erzählerstimme und die extrem gut getroffenen Dialoge so umso besser zur Geltung.
Zur Autorin
Sally Rooney ist 28 Jahre alt und lebt in Dublin. «Gespräche mit Freunden» ist im Original bereits 2017 erschienen, aber hat hierzulande erst dieses Jahr mit der deutschen Übersetzung für grösseres Interesse gesorgt. Ihr zweiter Roman «Normal People» ist 2018 erschienen und wird derzeit von BBC als Serie verfilmt.
„Gespräche mit Freunden“ von Sally Rooney, Luchterhand 2019
„Nicht wie ihr“ von Tonio Schachinger
Schachinger kam, schrieb und landete direkt auf der Shortlist für den Deutschen Buchpreis 2019. Es mag Leute geben, die «Nicht wie ihr» als Fussballroman abstempeln. Die haben den Roman nicht verstanden. Das Buch gewährt zwar durchaus Einblicke in die entrückte Welt des Profifussballs und entlarvt viele seiner Mechanismen, aber es tut eben noch viel mehr als das.
Die Erzählung hält sich dicht an Ivo Trifunović, einem österreichischen Profifussballer mit Migrationshintergrund. Ivo führt den Leser distanzlos an seine Wut, seinen Hass, seine Sehnsüchte und Hoffnungen heran. Empathie- und Antipathiegefühle ihm gegenüber wechseln dabei oft satzweise den Ball – und fordern den Leser heraus.
Wie der 27-jährige Geisteswissenschaftler Schachinger mithilfe Wiener Milieusprache den Ton seines Erzählers Tribunović trifft, ist schon sehr ausdrucksstark. Um ein Gefühl für diesen Sound zu entwickeln, braucht es nicht mehr als das erste Kapitel, ja den ersten Satz, und man ist direkt (in Ivos Bugatti) eingestiegen.
Zum Autor
Tonio Schachinger ist 1992 in New Delhi geboren, in Nicaragua und Wien aufgewachsen und hat Germanistik und Sprachkunst studiert.
„Nicht wie ihr“ von Tonio Schachinger, Kremayer & Scheriau 2019
„All das zu verlieren“ von Leïla Slimani
Dieses Buch ist nicht schön. Aber verdammt gut. „All das zu verlieren“ ist ein Psychogramm der Pariserin Adèle, die alles hat, von dem die Gesellschaft erwartet, dass es einen glücklich macht: Sie ist klug, wunderschön, im Beruf erfolgreich, zugleich Mutter eines gesunden Jungen und Frau eines Arztes, der sie vergöttert. Doch Adèle hat noch viel mehr als all das: Eine Leere und eine Einsamkeit, die sie in die Sucht – in die Sexsucht – treiben. Die Sucht ist für sie eine Art der Flucht, ein Bruch mit der Perfektion und der Oberfläche.
„All das zu verlieren“ ist ein vibrierender, genialer Text über eine komplexe moderne Figur, die sich in einem existenziellen Kampf mit ihren eigenen Ambivalenzen befindet und sich selbst ausgeliefert ist. Es ist ein Text über die verborgenen Sehnsüchte und Abgründe, die hinter glänzenden Fassaden schlummern. Und ein Text über den diffusen Begriff der Identität und die Frage, wer wir sind und wenn ja, wie viele.
Zur Autorin
Leïla Slimani ist eine französisch-marokkanische Schriftstellerin und Journalistin. „All das zu verlieren“ ist im Original bereits 2014 erschienen, wurde aber erst dieses Jahr auf Deutsch übersetzt. Slimani ist Preisträgerin des Prix Goncourt, der bedeutendsten literarischen Auszeichnung Frankreichs.
„All das zu verlieren“ von Leila Slimani, Luchterhand 2019