Interview mit Regisseur Daniel von Aarburg

Wie wird man eigentlich Regisseur? Wie entsteht ein Dokumentarfilm? Und wie sieht die Zukunft der Dokumentarfilmbranche aus?

Von Olivia Grubenmann

Wer hat nicht schon eine Idee gehabt und gedacht: Darüber müsste man einen Film machen! Daniel von Aarburg macht genau das. Er setzt Ideen in Filmen um. Zumindest wenn alles gut läuft. Denn von der zündenden Idee bis zum finalen Film ist es ein langer Weg. Wir haben ihn gefragt, was das Beste an der Arbeit ist, wie man Regisseur wird und wo er die Ideen für seine Projekte findet.

Daniel, wie sieht ein normaler Arbeitstag bei dir aus?

Also normale Arbeitstage gibt es nicht. Im Moment bin ich am Überlegen, was ich als Nächstes mache. Ich lese, schaue Filme und treffe mich mit Leuten. Wenn ich mich für ein Projekt entschieden habe, beginnt die Recherchephase. Ich recherchiere online oder treffe mich mit Leuten, die dann im Film vorkommen, schreibe Konzepte und Dossiers um Geld zu bekommen. Später in der Projektphase beim Dreh sind die Tage strukturierter. Nach den Drehs beginnt die Postproduktionsphase. Dann ist man wieder eher zu Hause, schaut sich das gesammelte Material an, transkribiert die Aufnahmen und überlegt sich, wie man alles zusammenschneidet. Je näher das Ende des Projekts rückt, mit dem Picture-Lock, wo man nichts mehr am Bild machen kann, desto länger werden die Arbeitstage. Zur Postproduktion gehört auch die ganze Tonmischung, die Sprecher auszuwählen etc.

Welche Phase hast du am liebsten?

Das ist schwierig. Ich mag die Phase, in der ich jetzt bin sehr gerne.

„Man recherchiert frei, hat den Kopf in den Wolken und denkt an grosse Sachen, auch wenn sie sich dann meistens nicht realisieren lassen.“

Das einzige Problem ist, dass man in dieser Phase nichts verdient. Was ich auch sehr gerne mag, ist der Dreh. Es ist zwar anstrengend, weil man weiss: Jetzt zählt es, der Film entsteht jetzt. Denn wenn er auf dem Schnittplatz nicht entsteht, entsteht er nicht mehr.

Was ist das Beste am Filme machen?

Dass es so abwechslungsreich ist. Manchmal ist man ganz alleine im Büro und denkt sich was aus und manchmal ist es viel Teamarbeit. Im Film hat es ausserdem einen Haufen superinteressante Leute.

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Dreh mit Thomas Borer in Thalwil für: „Die Affäre Meili. Ein Whistleblower zwischen Moral und Milliarden.“

Wo holst du dir die Inspiration für deine Projekte?

Ganz verschieden. Das letzte Projekt, das wir zusammen gemacht haben: «Die Affäre Meili», wurde mir quasi von der Produktion nahegelegt. Bei anderen Projekten sind es Themen, die mich persönlich sehr interessieren, wie beispielsweise Sport. Andere Male fällt mir das Thema eher zu, zum Beispiel beim Blättern in einem Bildband oder beim Lesen.

„Es heisst ja: Themen, die einen interessieren, die finden einen.“

Man hat einfach eine Prädisposition für Dinge, die einen interessieren. Bei mir sind das Leute, die eine Grenzerfahrung machen. Normale, unscheinbare Menschen, die etwas machen, das ausserhalb ihrer Grenze liegt.

Warum bist du Regisseur geworden?

Filme und Regie machen ist wie ein Gesamtkunstwerk. Man hat mit allem ein wenig zu tun. Mir gefällt die Arbeitsweise und auch, dass so viele gestalterische Mittel mitspielen, wie Bild, Text, Ton, Musik, Rhythmus und so weiter. Als Regisseur ist man die Instanz, die das Projekt von Anfang bis Ende begleitet. Man muss dafür sorgen, dass all die kreativen Beiträge der Beteiligten zu einem harmonischen Ganzen kommen.

Wie wird man Regisseur?

Es gibt einerseits den klassischen Weg über die Ausbildung, aber da gibt es sehr wenig Plätze. Viele aus der Filmbranche sind Autodidakten, so zum Beispiel Michael Steiner und Xavier Koller. Wenn man es wirklich will, kann man auch mit «learning by doing» reinwachsen. Vielleicht ist das sogar besser. Es gibt ja so viele Funktionen und eine starke Arbeitsteilung, da muss man zuerst herausfinden, welche Position man wirklich will.

Und welchen Weg hast du genommen?

Ich habe in Zürich Deutsch und Philosophie studiert. Wollte aber immer etwas im Film- und Theaterbereich machen. Ich habe mich an verschiedenen Orten beworben aber bin nirgends reingekommen. Es gab auch noch nicht so viel Auswahl wie heute. Nach dem Lizenziat an der Uni Zürich habe ich mir gesagt: Ich versuche es noch ein letztes Mal, ansonsten vergesse ich das mit der Ausbildung. Ich habe mich dann an der Filmschule in Lausanne beworben und wurde tatsächlich genommen.

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Bündner Regisseur Daniel von Aarburg
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Dreh mit Thomas Borer in Thalwil für: „Die Affäre Meili: Ein Whistleblower zwischen Moral und Milliarden.“

Welches war dein spannendstes Projekt bisher?

Hugo Koblet war mit 2 Millionen das teuerste Projekt. Es war insofern das erfolgreichste, weil wir auf der Piazza Grande in Locarno am Wochenende die Premiere vor 8’000 Leuten hatten. Zu Ehren von Koblet sind wir in drei Tagen mit dem Rennvelo von seinem Grabstein in Zürich bis auf die Piazza Grande gefahren.

Auch toll war der Film über Carl Lutz . Wir haben auf der ganzen Welt zwei Dutzend Holocaustüberlebende aus Budapest gefunden, die dank den Schutzbriefen von Carl Lutz überlebt haben. Davon haben wir etwa 12 interviewt. Das waren wahnsinnig eindrückliche Begegnungen. Ansonsten hoffe ich, dass das Beste noch vor mir liegt (lacht).

Was hast du momentan für Ideen?

Ich arbeite sowohl als Autor und als Regisseur, deswegen muss ich ein paar Projekte parallel haben, damit wenigstens eines zustande kommt. Ich würde gerne einen Spielfilm machen über Carl Lutz. Da bin ich gerade mit Produzenten am verhandeln. Das ist auch finanziell ein grosses Projekt und realistischerweise müsste ich dort die Regie abgeben. Eine Idee ist ein Film über Bernhard Russi, einem Skirennfahrer aus den 70ern. Dann gibt es eine Idee für eine Serie über einen Dopingtester, die ich beim SRF eingeben möchte. Und ganz neu: Ich habe letzte Woche ein tolles Buch gelesen, das Eidechsenkind, über sogenannte «Schrankkinder». Das sind Kinder, die von italienischen Gastarbeitern heimlich in die Schweiz genommen wurden. Die Kinder mussten im Schrank aufwachsen, weil sie verbotenerweise in der Schweiz waren und sie niemand finden durfte. Meine Frau ist Italienerin und sie kennt Leute, die zeitweise solche Schrankkinder waren. Aber von all diesen Ideen wird sich höchstens eine verwirklichen.

Was sind Schwierigkeiten in der Dokumentarfilmbranche?

Probleme hat man eher bei fiktionalen Projekten. Durchschnittliche Finanzierungsdauer von einem Spielfilm ist vier Jahre. Das heisst, du brauchst einen extrem langen Atem und andere Projekte dazwischen. Das kann sich nicht jeder leisten, vier Jahre auf das Regiehonorar zu warten.

Mit Dokumentarfilmen ist es in der Schweiz einfacher, weil die Budgets kleiner sind. Die Schweiz hat eine Dokumentarfilmtradition. Ich habe eher das Problem, dass meine kreative Fantasie in den letzten Jahren vermehrt fiktional funktioniert. Für internationale Produktionen muss man zudem einen Produzenten mit gutem Netzwerk kennen und leider ein wenig Klinkenputzen gehen, wie fast überall.

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Dreh mit Christoph Meili in Wil, SG für: „Die Affäre Meili“

Was muss man haben, wenn man Regisseur sein will?

Man muss eine grosse Frustrationstoleranz haben und sich auch nach einem Rückschlag immer wieder hinstellen und sagen: Egal, ich gehe das nächste Projekt an.

„Als Allrounder ist man in der Schweizer Filmindustrie im Vorteil.“

Wie verändert sich die Doku-Branche?

Ein wenig in die Richtung, wie wir für das «Meili-Projekt» gearbeitet haben: Die Vertriebskanäle werden diversifizierter. Man macht nicht einfach einen 90-Minuten-Film fürs Kino und fertig, sondern man bedient verschiedene Medien und ergänzt den Kinofilm mit einer TV-Version und einer Webdoku zum Beispiel. Ich finde aber, meine Arbeit hat sich nicht sehr verändert: Ich versuche eine Geschichte zu erzählen. Neu einfach zusammen mit Leuten, die moderne Medien bedienen können. Die Digitalisierung verändert unser ganzes Leben. Die Kinos haben extrem Mühe und wir müssen neu schauen, wie wir Filme zu den Leuten bringen. Da ist die Produktionsfirma Docmine meiner Meinung nach auf dem richtigen Weg.

„Das ist sehr interessante ‚Forschungsarbeit‘ die wir hier leisten.“

Vielen Dank, Daniel, für das spannende Gespräch!

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