Es vergeht wohl kaum ein Tag, an dem wir das Internet nicht in irgendeiner Weise nutzen – und dabei eine immense Datenspur hinterlassen. Doch was passiert mit all unseren persönlichen Daten? Wer kontrolliert eigentlich das Internet? Und wie sieht das Internet von morgen aus? Wir haben einen Experten gefragt, was jede und jeder über das Internet wissen sollte.
Von Olivia Grubenmann
Über William J. Drake
William J. Drake hat schon an diversen Universitäten doziert, unter anderem in den USA und der Schweiz. 2003 kam er mit seiner Frau in die Schweiz. Seit 2010 unterrichtet er an der Universität Zürich, war Berater für zwischenstaatliche Organisationen und hat verschiedene Funktionen in globalen Institutionen, wie dem IGF, dem WEF oder ICANN übernommen. William J. Drake:
„Ich mag den akademischen Weg, aber wenn man wirklich etwas bewegen möchte, dann reicht es nicht, nur wissenschaftliche Artikel zu schreiben, welche 300 andere Akademiker lesen. Deswegen engagiere ich mich zusätzlich in der Politikgestaltung.“
Also, wer kontrolliert denn nun eigentlich das Internet?
Es gibt niemanden, der die alleinige Kontrolle über das Internet hat, sondern es hängt von der Ebene ab, von der wir sprechen. Wenn man die grundlegende Infrastruktur anschaut, dann gibt es Institutionen, welche die Ressourcen managen, wie z.B. ICANN, die das Domain Name System verwaltet. Dann sind da die grossen Player der Industrie. Zum Beispiel die Telekommunikationsfirmen und Netzwerkanbieter, wie die Swisscom. Wenn man auf der Inhalts- und Prozessebene schaut, dann gibt es Akteure wie Google und Microsoft, welche einen Grossteil der Werbeeinnahmen kontrollieren. Auf der Social Media Ebene sind es Facebook, Twitter und das chinesische Äquivalent. Auf der Inhaltsebene haben auch neue Player wie Netflix immer mehr Kontrolle. Und dann natürlich die Regierungen, die vor allem in autoritären Ländern viel Kontrolle haben und internationale Organisationen, die Normen festlegen.

Wer hat in Zukunft die Macht?
Ich denke, es wird ähnlich sein wie heute, aber Regierungen werden versuchen, mehr Kontrolle zu auszuüben. In Russland, China und einigen afrikanischen Ländern wird bereits versucht, die Kontrolle über das Internet zu zentralisieren.
„Die ursprüngliche Vision des Internets als globalen, offenen Ort, wo jeder alles mit allen teilen kann, der etwas empfangen will, muss mehr und mehr anderen Ideen Platz machen.“
Dann gibt es mehr als nur ein Internet?
Es gibt den Teil des Internets, das nach amerikanischer Sicht funktioniert und ein offenes, unreguliertes Internet anstrebt, es gibt die europäische Sicht, die zunehmend reguliert wird und es gibt einen Teil des Internets, das unter anderem von China kontrolliert wird.
Und die eigentliche Frage ist hier: Wie können wir die Balance zwischen all diesen Teilen des Internets wahren?
Das ist eines der aktuell wichtigsten Themen. Die US Regierung versucht zum Beispiel gerade, die chinesische Firma Huawei, den grössten Telekom-Anbieter weltweit, davon abzuhalten, den Vertrag zu bekommen, um die Infrastruktur für 5G Netzwerke zu bauen. Huawei steht der chinesischen Regierung sehr nahe und die USA befürchtet, dass sie zusammenarbeiten könnten und China damit sogar Datenströme in westlichen Ländern überwachen und kontrollieren könnte.

Wie können wir uns im Internet schützen?
Wir werden immer mehr vom Internet abhängig, insbesondere wenn wir an Internet of Things denken, wo mehr und mehr Systeme und Maschinen miteinander verbunden sind und unsere Daten speichern. Deswegen ist es sehr wichtig, dass wir unsere Sicherheit schützen und darauf achten, dass Informationen über uns sicher sind, niemand unsere Identität stiehlt, oder unsere Bankkonten hackt. Sich selbst zu schützen ist aber auch eine Frage von Engagement in den Prozessen, die das Internet formen.
Wo versagen Unternehmen, Institutionen und Regierungen, das das Internet angeht?
Alle genannten Akteure haben in gewissen Dingen versagt. Social Media Unternehmen haben versagt zu erkennen, wie ihre Plattformen als Waffe genutzt werden können. Die Regierungen haben versagt, indem sie nicht erkannt haben, dass es zukunftsfähigere Richtlinien braucht, um die Privatsphäre im Internet und die Netzneutralität zu wahren und der Privatsektor hat versagt zu sehen, wie wichtig Daten werden und wie ihre Richtlinien angepasst werden müssen, um Privatsphäre und Daten zu schützen. Entwicklungsländer haben versagt zu sehen, wie die Digitalisierung ihnen Vorteile verschaffen könnte. Autoritäre Regierungen wie China versagen zu sehen, dass ihre restriktive Internetpolitik der langfristigen Entwicklung des Landes schadet.
Welche Erkenntnis hat dich schockiert, in Bezug auf die Veränderungen im Internet?
Mich hat schockiert, wie wenig proaktiv und vorausschauend die meisten Akteure sind, wenn sie mit Veränderungen konfrontiert sind. Mich schockiert das Ausmass an Kriminalität im Internet und dass so viele Leute das Internet für schlechte Dinge wie Diebstahl nutzen. Mich schockiert auch, dass Regierungen angefangen haben, das Internet als Waffe zu nutzen, um andere Länder anzugreifen. Das alles ist ja nicht überraschend, aber dennoch schockiert es mich.
Was ist der Unterschied zwischen Cyberspace, Internet und World Wide Web?
„Das Internet und das World Wide Web sind nicht dasselbe.“
Das Internet ist die Technologie, welche verschiedenste Prozesse wie E-Mail ermöglicht, das World Wide Web ist einfach eine der Anwendungen, die auf der Internetebene läuft. Cyberspace ist ein viel weiter gefasster Begriff, der für die Gesamtheit aller Aktivitäten und Informationen im digitalen Raum verwendet wird. Cyberspace umfasst also nicht nur das öffentliche Internet, sondern auch die privaten und unzugänglichen Teile des Internets, wie beispielsweise das Darknet.

Welche Länder haben die restriktivste Internetpolitik?
Die Organisation Freedom House veröffentlicht einen jährlichen Bericht über die weltweite Internetfreiheit. Saudi-Arabien, viele zentralafrikanische Länder, Nordkorea, China, Kuba und Russland schlagen nach diesem Ranking am schlechtesten ab. In diesen Ländern sind die Internetzensur und die Kontrolle über die Inhalte und den Zugang am höchsten.
Wie könnten wir das Web sicherer machen?
Es gibt Bemühungen von der technischen Seite, die Systeme designt, die sicherer und besser verschlüsselt sind. In der Industrie wird versucht, eine höhere Sicherheit unter anderem für Bankensysteme sicherzustellen und die Regierung bemüht sich, internationale Normen einzuführen und Internetkriminelle zu verfolgen. Defensive und offensive Methoden müssen kombiniert werden, um unsere Sicherheit und Privatsphäre zu wahren.
Wie wirkt sich Internetkriminalität und -terrorismus auf das Leben von mir und dir aus?
Die Auswirkungen von Internet-Terrorismus spüren die meisten Menschen nur indirekt, indem sich terroristische Organisationen vernetzen, Propaganda verbreiten, Leute rekrutieren und Anschläge planen. Internetkriminalität, hingegen ist wohl für den Normalbürger ein grösseres Thema und reicht vom Diebstahl persönlicher Informationen, über das Hacken von Webseiten und Diebstahl der Identität.
Was sollte jeder über das Internet wissen?
Jeder sollte eine grundlegende Kenntnis des Internets haben: Wie es funktioniert, wer es kontrolliert und wie man es für kreative Zwecke nutzen kann, wie einen eigenen Blog oder ein Business aufzubauen und Kontakte zu knüpfen.
„In der heutigen Zeit völlig unwissend zu sein, was das Internet angeht, scheint mir gefährlich.“
Wie wird sich unsere Privatsphäre online verändern?
Welche Privatsphäre? (lacht). Also die Regulierung der EU, dass man seine Zustimmung geben muss, wenn man eine Webseite nutzt, sollte eigentlich den Nutzer informieren und schützen, aber leider führt es einfach dazu, dass all die Leute JA drücken und haufenweise Cookies akzeptieren, ohne die Terms of Conditions gelesen zu haben. Das hat also die Privatsphäre noch nicht wirklich verbessert.
Menschen müssen einfach einsehen, dass es, wenn sie bei der Privatsphäre wirklich konsequent sein wollen, einfach Webseiten geben wird, die sie nicht besuchen können und Services, die sie nicht nutzen können. Denn diese Businessmodelle beruhen darauf, dass Daten gesammelt werden und wenn jemand dem nicht zustimmt, dann fragt man das Unternehmen sozusagen, es solle einem einen Service gratis zur Verfügung zu stellen. Menschen sollten fähig sein, die Terms of Condition zu lesen und ihre Rechte zu verstehen.
„Die Realität ist, dass deine Daten überall im Internet und auf der Welt verstreut sind, von all den Suchanfragen, E-Mails und Besuchen auf Webseiten.“
Wenn du dich also um alle Daten sorgst, die irgendwo von dir existiert, dann wirst du mit grosser Wahrscheinlichkeit das Gefühl haben, dass deine Privatsphäre verletzt ist. Wenn du über etwas Bestimmtes besorgt bist, wie deine Bankdetails, oder deinen beruflichen oder privaten Werdegang, dann kann das schon sorgfältiger geschützt werden. Aber es braucht viel Arbeit.

Möchtest du noch etwas anfügen?
Ja. Ich würde sagen, die Menschen in der Schweiz sollten nicht zu sicher sein, dass alles gut ist und ihnen nichts Schlechtes passieren kann. Ich erinnere mich an eine Vorlesung, die ich an der Universität Zürich gegeben habe und ein Student meinte: «Uns ist egal, was in der Welt passiert, denn hier haben wir ein gutes Leben.»
Das ist ja schön und gut, aber, die Veränderungen können letzten Endes auch in die Schweiz kommen. Generell sollten wir uns als Menschen einer globalisierten Welt dafür interessieren, was in der Welt und mit den Menschen passiert.